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Besucherschutz
Besucherschutz
Unter dem Begriff Besucherschutz versteht man in der internationalen Motorfahrzeugschadenregulierung den Schutz von Personen, die im Ausland Opfer von Verkehrsunfällen werden. Das Besucherschutz-System deckt Unfallschäden im Ausland und ist nicht zu verwechseln mit dem Grüne Karte-System, welches Unfallschäden im Inland deckt.
Der Schutzbedarf ergibt sich daraus, dass sich Geschädigte zur Geltendmachung ihrer Ansprüche an ausländische Verursachende bzw. deren Versicherer halten müssen. Zum einen ist in den meisten Fällen ausländisches Recht anwendbar, zum anderen können sprachliche Probleme die direkte Kommunikation erschweren oder gar verunmöglichen.
Zur Überwindung dieser Schwierigkeiten sieht das Besucherschutz-System vor, dass jeder Staat eine eigene Auskunftsstelle betreibt, die Unterstützung bei der Information über Schadenfälle im Ausland bietet. Sie hilft beim Ermitteln des zuständigen Versicherers und teilt weitere, für die Schadenbearbeitung notwendige Informationen mit. Falls in den entsprechenden Abkommen vorgesehen, macht sie die zuständige Regulierungsstelle im Wohnsitzstaat ausfindig und stellt sicher, dass die Geschädigten ihre Ansprüche innert nützlicher Frist erhalten.
Besucherschutz in Europa
Achtung:
Der Besucherschutz ist vom Grüne Karte-System klar abzugrenzen. Das Grüne Karte-System stellt sicher, dass Autofahrende bei Auslandreisen über eine ausreichende Haftpflichtversicherungsdeckung verfügen. Es gewährleistet, dass Geschädigte, die in einem Staat des Grüne Karte-Systems einen durch ein ausländisches Fahrzeug verursachten Unfall erleiden, ihre Ansprüche beim nationalen Versicherungsbüro dieses Staates bzw. beim sog. Korrespondenten des ausländischen Versicherers geltend machen können. Vereinfacht dargestellt schützt das Grüne Karte-System die Geschädigten in der Schweiz vor ausländischen Fahrzeugen. Demgegenüber schützt das Besucherschutzsystem die Schweizer Geschädigten bei Unfällen im Ausland.
Europäische Richtlinie
Besucherschutz nach europäischer Richtlinie
Am 16. Mai 2000 wurde die 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie (RL 2000/26/EG) erlassen. Diese Richtlinie, die am 16. September 2009 in die RL 2009/103/EG überführt wurden, verpflichtet die EWR-Mitgliedstaaten zur Einhaltung von verschiedenen Bestimmungen zum Schutz von Personen, die im Ausland Opfer von Verkehrsunfällen wurden.
Schadenabwicklung durch Schadenregulierungsbeauftragte
Auf der Grundlage der RL 2009/103/EG (bzw. der in Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Gesetzgebungen) werden sämtliche, auf dem Gebiet des EWR tätigen Versicherungsgesellschaften verpflichtet, in jedem anderen Mitgliedstaat Schadenregulierungsbeauftragte (SRB) zu ernennen.
Dementsprechend können Geschädigte, die im Ausland einen Unfall erlitten haben, Ansprüche beim SRB des zuständigen ausländischen Haftpflichtversicherers in ihrem Wohnsitzstaat geltend machen. Der SRB wickelt den Schadenfall, auf welchen in der Regel das Recht des Unfalllandes anwendbar ist, auf der Grundlage der Instruktionen des ausländischen Versicherers, der ihn ernannt hat, ab.
Information durch Auskunftsstellen
Um sicherzustellen, dass Geschädigte die für die Geltendmachung ihrer Ansprüche erforderlichen Informationen erhalten und sich an die für die Regulierung ihrer Ansprüche zuständige Stelle richten können, wurden die Mitgliedstaaten verpflichtet, Auskunftsstellen einzurichten. Diese teilen den Geschädigten die Anschrift der zuständigen Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer und deren Schadenregulierungsbeauftragten mit. Sofern dies für die Abwicklung des Schadenfalls erforderlich ist, geben die Auskunftsstellen den Geschädigten auch Namen und Adressen der Fahrzeughaltenden von Unfallverursachenden bekannt.
Ausfallschutz durch die Entschädigungsstellen
Die RL 2009/103/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, Entschädigungsstellen einzurichten. Diese Stellen gewähren den Geschädigten einen Ausfallschutz für den Fall, dass die ordentliche Schadenregulierung versagt. Hat der Versicherer keinen Schadenregulierungsbeauftragten ernannt oder stellt dieser den Geschädigten innert einer dreimonatigen Frist kein Schadenersatzangebot oder keine begründete Antwort zu, können sich Geschädigte an die Entschädigungsstelle ihres Wohnsitzstaates wenden. Sind die Bedingungen erfüllt, reguliert die Entschädigungsstelle den Schadenfall an Stelle des fehlenden oder säumigen Schadenregulierungsbeauftragten. Dies gilt auch dann, wenn der zuständige Versicherer nicht innert zwei Monaten ermittelt werden kann, weil Unfallverursachende oder deren Fahrzeuge nicht identifiziert werden können oder weil keine Versicherung vorliegt.
Umsetzung der Europäischen Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie in der Schweiz
Die EWR-Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die RL 2000/26/EG spätestens bis zum 20. Januar 2003 umzusetzen. Die Schweiz hat diese Richtlinie autonom umgesetzt und die entsprechenden Bestimmungen mit Wirkung ab 1. Februar 2003 in den Art. 79a bis d des Strassenverkehrsgesetzes (SVG) verankert.
Anwendbarkeit bei Unfällen in der Schweiz
Bei Unfällen, die sich in der Schweiz ereignen, kommen die Art. 79a bis d SVG weitgehend uneingeschränkt zur Anwendung. Dementsprechend erteilt die Auskunftsstelle den Geschädigten Auskunft darüber, bei welcher Regulierungsstelle sie ihre Ansprüche geltend machen können. Die schweizerischen Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer müssen innert drei Monaten auf die Forderungen der Geschädigten reagieren. Andernfalls reguliert die Entschädigungsstelle den Fall.
Anwendbarkeit im Verhältnis zum EWR
Im Verhältnis zu den EWR-Mitgliedstaaten finden die Art. 79a bis d SVG keine Anwendung. Die RL 2000/26/EG verpflichtet die EWR-Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Besucherschutz-Bestimmungen im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten. Die Schweiz fällt damit nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen.
Um zu vermeiden, dass die schweizerische Gesetzgebung nur Geschädigte mit Wohnsitz im EWR schützt, nicht aber Geschädigte mit Wohnsitz in der Schweiz (weil die RL 2000/26/EG die im EWR ansässigen Versicherer nicht verpflichtet, Schadenregulierungsbeauftragte in der Schweiz zu ernennen) hat der schweizerische Gesetzgeber in Art. 79e SVG vorgesehen, dass die 79a bis d SVG gegenüber einem anderen Staat nur dann zur Anwendung kommen, wenn der betreffende Staat der Schweiz Gegenrecht gewährt. Zurzeit gewährt nur Liechtenstein der Schweiz ein derartiges Gegenrecht.
Um den Besucherschutz im Verhältnis zu den EWR-Staaten trotz dieser gesetzlichen Hürden zu gewährleisten, schloss das NVB – gestützt auf die Kompetenz, die ihm kraft Art. 76b Abs. 5 lit. b SVG zusteht – mit seinen Partnerverbänden im EWR bilaterale privatrechtliche Besucherschutz-Abkommen.
Bilaterale Abkommen
Besucherschutz für Schweizer Geschädigte im Ausland und für ausländische Geschädigte in der Schweiz
Die Schweiz fällt nicht in den Anwendungsbereich der RL 2000/26/EG. Um Verkehrsunfallopfer trotzdem in den Genuss der wichtigsten Besucherschutzbestimmungen kommen zu lassen, schloss das NVB gestützt auf die Kompetenz, die ihm gemäss Art. 76b Abs. 5 lit. b SVG zusteht, mit sämtlichen zuständigen Einrichtungen der EWR-Mitgliedstaaten privatrechtliche bilaterale Besucherschutz-Abkommen ab.
Die Abkommen sind angelehnt an die Bestimmungen der RL 2000/26/EG. Abkommen mit Informationsaustausch (Karte oben: hellblau gefärbte Staaten) sehen vor, dass die Auskunftsstellen der Vertragsstaaten den Betroffenen die notwendigen Auskünfte erteilen, damit diese ihre Ansprüche geltend machen können. Abkommen mit Schadenregulierung im Wohnsitzstaat (Karte oben: dunkelblau gefärbte Staaten) verlangen zusätzlich die Ernennung von Schadenregulierungsbeauftragten im jeweiligen anderen Vertragsstaat, welche die Forderungen von Geschädigten entgegennehmen. Der Zugang zu den Entschädigungsstellen ist in allen bilateralen Besucherschutz-Abkommen jedoch ausdrücklich ausgeschlossen.
Besucherschutz-Abkommen
mit Informationsaustausch
Die Besucherschutz-Abkommen mit Informationsaustausch sehen vor, dass Geschädigte nach Verkehrsunfällen durch die Auskunftsstellen Unterstützung bei der Identifizierung der zuständigen Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherer und weitere Auskünfte erhalten. Es soll eine möglichst rasche und unkomplizierte Schadenregulierung zu Gunsten der Geschädigten sichergestellt werden. Das Verfahren wird durch das Auskunftsgesuch von Geschädigten an das Versicherungsbüro ihres Wohnsitzes in die Wege geleitet. Dieses Versicherungsbüro nimmt nach Entgegennahme des Gesuchs entweder mit dem Versicherungsbüro, auf dessen Gebiet das unfallverursachende Fahrzeug registriert wurde, oder mit dem Versicherungsbüro, auf dessen Gebiet der Unfall stattgefunden hat, Kontakt auf, um folgende Informationen zu Hd. der Geschädigten einzuholen:
- Identifizierung des Haftpflichtversicherers des in den Unfall verwickelten Fahrzeugs
- Identifizierung des Lenkers/der Lenkerin, Eigentümers/Eigentümerin oder Halters/Halterin des in den Unfall verwickelten Fahrzeugs, wenn der Versicherer nicht innert einer 6-wöchigen Periode nach dem Unfall identifiziert werden kann
und zusätzlich, je nach Abkommen:
- Polizeirapport
- Auskünfte über Leistungsmöglichkeiten eines allfälligen Garantiefonds oder sonstige Informationen, die für die Schadenerledigung von Nutzen sein können
Das NVB hat mit den Versicherungsbüros der folgenden Staaten Besucherschutz-Abkommen mit Informationsaustausch abgeschlossen:
In Kraft seit:
09.05.2014
Marokko, Türkei, Ukraine
01.01.2016
Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Moldawien, Montenegro, Serbien, Tunesien, Weissrussland
01.07.2016
Andorra
mit Informationsaustausch und Schadenregulierung im Wohnsitzstaat
Haben die Versicherungsbüros zweier Staaten ein Besucherschutz-Abkommen mit Schadenregulierung im Wohnsitzstaat unterzeichnet, sind die Versicherungsgesellschaften dieser Staaten befugt, im jeweiligen anderen Staat Schadenregulierungsbeauftragte zu ernennen. Diese Schadenregulierungsbeauftragten sind unter den folgenden Voraussetzungen zuständig, um Forderungen von Geschädigten zu regulieren:
- Geschädigte haben ihren Wohnsitz im selben Staat wie der Schadenregulierungsbeauftragte.
- Der Unfall hat sich entweder in dem Staat ereignet, in dem der zuständige Versicherer seinen Sitz hat, oder in einem anderen Staat des Grüne Karte-Systems, sofern dieser Staat nicht gleichzeitig Wohnsitzstaat der Geschädigten ist.
Die Schadenregulierung erfolgt nach Massgabe des anwendbaren Rechts. Voraussetzungslose Anerkennungen oder endgültige Abwicklungen bedürfen des Einverständnisses des zuständigen Versicherers. Der Versicherer kann den Schadenfall dem durch ihn ernannten Schadenregulierungsbeauftragten jederzeit wieder entziehen. Er darf dieses Recht jedoch nicht dazu missbrauchen, um berechtigte Ansprüche der Geschädigten zu kürzen. Wo kein Schadenregulierungsbeauftragter ernannt wurde, kann diese Rolle mit dem Einverständnis des zuständigen Versicherers durch das Versicherungsbüro des Wohnsitzstaates der Geschädigten wahrgenommen werden. Der Versicherer kann den Schadenfall auch dem Versicherungsbüro jederzeit wieder entziehen. Die Abkommen sehen weder eine Sanktionierung des Versicherers noch des Schadenregulierungsbeauftragten vor, wenn den Geschädigten keine begründete Antwort auf eine geltend gemachte Forderung erteilt wurde. Die Abkommen sehen auch keine Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen oder Möglichkeiten für einen Fallentzug bei Versäumnissen vor. Sie führen jedoch eine Meldepflicht der Versicherungsbüros untereinander für diejenigen Fälle ein, in denen die Schadenregulierung nicht ordentlich abläuft.
Das NVB hat Besucherschutz-Abkommen mit Schadenregulierung im Wohnsitzstaat mit den Versicherungsbüros der folgenden EWR-Staaten abgeschlossen:
In Kraft seit:
01.10.2003
Österreich, Deutschland
01.01.2004
Belgien, Spanien, Niederlande
01.05.2004
Tschechien, Estland, Ungarn, Polen, Slowakei
15.10.2004
Griechenland
01.01.2005
Frankreich
01.01.2006
Grossbritannien
30.03.2007
Malta
17.08.2007
Rumänien
25.09.2007
Zypern
01.01.2010
Italien
01.09.2016
Bulgarien, Dänemark, Finnland, Irland, Island, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Norwegen, Portugal, Schweden, Slowenien